Formal ist es ein Auswärtsspiel, die Heimkabine bezieht der 1. FC Köln. Doch der VfB fühlt sich in dem schicken, neuen Stadion des Austin FC an diesem Samstag von Beginn an wie zu Hause. Schon am Mittag treffen sich VfB-Fans aus allen Himmelsrichtungen, von Cannstatt bis Hawaii, in einer der Sportsbars im Stadion. Ricardo Osorio erklärt im Talk mit seinem Freund Cacau und dem VfB-Fanbeauftragten Christian Schmidt, warum er bei seinem Abschied aus Stuttgart gesagt hatte, er werde niemals gegen den VfB spielen. „Stuttgart ist meine zweite Heimat, wie eine zweite Familie“, sagt er und wehrt lächelnd auch die Betitelung als VfB-Legende ab: „Legenden sind andere, ich bin nur ein einfacher Mann.“ Viel VfB-Liebe bringt auch Taylor mit, der im Legendo-Trikot dreieinhalb Stunden aus Minneapolis hergeflogen ist, um zum ersten Mal seinen Lieblingsverein live im Stadion zu sehen. „Die Woche war unglaublich, ich bin komplett begeistert“, sagt er.
„Wir wissen es sehr zu schätzen und fühlen uns geehrt, dass ihr diese Reise gemacht habt, um mit uns hier in Texas unterwegs zu sein“, sagt Markus Rüdt, Direktor Sportorganisation, in Richtung aller Fans in der Bar. „Diese Begegnungen waren ein Hauptgrund, warum wir uns für die Tour entschieden haben.“ Darüber hinaus nennt er Teambuilding und das gemeinsame Erlebnis sowie die strategische Ausrichtung des gesamten deutschen Fußballs als Hauptgründe für die US-Tour 2022 des VfB. „Wir haben eine attraktive Liga mit Traditionsvereinen und super Stimmung in den Stadien. Das wollen wir transportieren, auch in Konkurrenz zur englischen Premier League und der spanischen La Liga, die uns bei der internationalen Vermarktung einfach noch etwas voraus sind.“ Für Markus Rüdt und sein Team ist die Tour aber auch Gelegenheit, sich professionell auszutauschen. Unter anderem gab es ausführliche Treffen mit den Dallas Mavericks (NBA) und den Dallas Cowboys (NFL), aber auch mit den Fußballclubs aus Austin und Dallas. „Was Digitalisierung von Training und Leistungsdiagnostik betrifft, sind die Amerikaner schon sehr weit. Zudem war es sehr spannend, unterschiedliche Herangehensweisen und Herausforderungen auszutauschen – zum Beispiel, wie man im American Football einen Kader von 53 Spielern plus Reserve führt und zusammenhält.“
Nach dem Talk versuchen sich Cacau und Ricardo Osorio im Team mit zwei Fans gegen zwei gemischte Teams aus Sven Schipplock (VfB II), Niklas Luginsland (VfB-E-Sports) und E-Sports-Talenten, die in Cannstatt sitzen, im virtuellen Fußball. Beim Fifa-Turnier sind sie völlig chancenlos. Danach geht’s ins nasskalte Stadion.
Auf dem zum besten Rasen der MLS gewählten Platz des Austin FC zeigt die Mannschaft mit dem Brustring große Spielfreude und liefert den Fußballfans auf den Tribünen einen kurzweiligen Nachmittag. 4:0 heißt es zur Halbzeit gegen das formale Heimteam aus Köln, Dinos Mavropanos und Tanguy Coulibaly treffen jeweils doppelt. In der zweiten Hälfte wechseln beide Trainer durch, so dass die mitgereisten VfB-Youngster zu ihren ersten Einsätzen im Profiteam kommen. Der 1. FC Köln schießt noch zwei Tore, so dass beide Teams beim 4:2 des VfB einen guten Eindruck hinterlassen. Bei der Stadionrunde nehmen die Spieler sich nochmal Zeit für alle Fans, die sie im Laufe der Woche bei verschiedenen Gelegenheiten getroffen hatten. „Das zählt als Auswärtssieg oder?“, fragt ein zufriedener Michael Wimmer, der im Anschluss sein Team lobt. „Wir haben ein gutes Spiel gezeigt und Werbung für die Bundesliga gemacht“, sagt der VfB-Trainer, „insgesamt ist es eine super Reise mit top Bedingungen.“
Der Abend im Q2-Stadium endet für beide Clubs in jener Sportsbar, in der schon das Fantreffen stattfand. Der VfB und der FC haben Vertreter des Austin FC und der Stadtgesellschaft zu einer gemeinsamen „German Night“ bei texanischem Essen und lokalem Bier eingeladen – als Dankeschön für die Gastfreundschaft und Unterstützung während einer abwechslungsreichen Woche. „Ihr müsst unbedingt wiederkommen, als Team oder privat“, hört man oft in den Gesprächen, umgekehrt werden zahlreich Einladungen nach Stuttgart ausgesprochen. Vize-Bürgermeisterin Alison Alter hatte dem Tag vor Anpfiff mit einer weiteren Proklamation einen offiziellen Titel gegeben. In die VfB-Historie wird er eingehen als Auswärtssieg in einem Heimspiel. Denn „auswärts“, das ist Austin für den VfB längst nicht mehr.