Hallo Fabian. Am 3. Dezember 2022 bist du als Sportdirektor angetreten. Wie blickst du auf deine letzten eineinhalb Jahre beim VfB zurück?
Fabian: „Wir haben das Klavier einmal von rechts nach links gespielt. Wir haben in den Abgrund der Zweiten Liga geschaut, um am Ende doch Mannschaft und Fans wieder miteinander zu versöhnen. Ich durfte hier in Stuttgart in kürzester Zeit größte Emotionen miterleben. So komprimiert geschieht das selten. Ich habe wieder neu gelernt, dass in unserem Metier praktisch nichts unmöglich und wie wichtig bei alledem das Team ist.“
Damals stand der VfB auf dem 16. Tabellenplatz, nächste Saison wird er in der Champions League spielen. Kannst du einschätzen, was die Rückkehr auf die internationale Ebene für den Club bedeutet?
Fabian: „Der VfB hat ein ‚europäisches Gedächtnis‘. Für viele unserer Fans ist der internationale Wettbewerb mit den schönsten VfB-Erinnerungen fest verbunden. Er ist für den Club kein Neuland, sondern gehört zum traditionellen Selbstverständnis. Insofern hat die Mannschaft nun in kürzester Zeit etwas zurückgebracht, was viele schon in einer Zeit der Stärke des VfB erlebt haben. Es ging sehr schnell, fast von Null auf Hundert. Das Risiko darin ist offensichtlich. Damit der Segen nicht zum Fluch wird, dürfen wir uns weder von einer überzogenen Erwartung noch von falschem Ehrgeiz treiben lassen. Wir haben also eine zweifache Bedeutung; einerseits den Erfolg mit unseren Fans, mit allen, die so lange darauf gewartet haben, genießen, das Beste versuchen und an die erfolgreiche Tradition anknüpfen und andererseits mit Augenmaß wirtschaftliche und sportliche Risiken wählen, um den Erfolg nachhaltig zu sichern.“
Welche Auswirkungen hat der sportliche Erfolg auf deine tägliche Arbeit?
Fabian: „So viel lässt sich sicher sagen; im Misserfolg wäre es weitaus komplizierter. Die Tatsache, dass sich nach der Entwicklung der vergangenen Monate für viele unserer Spieler ein Markt öffnet, liegt in der Natur der Sache. Wirtschaftlich – auch mit den Einnahmen aus der Qualifikation für den europäischen Wettbewerb – sind wir von einem dritten Tabellenplatz weit entfernt. Andererseits kann der VfB heute eine internationale Bühne anbieten. In dieser Spannung liegen die Herausforderungen unserer Arbeit in der Zusammenstellung des Kaders für die kommende Saison.“
Welches Gerüst war für diese Entwicklung notwendig?
Fabian: „Vertrauen auf der Führungsebene, sportlicher Sachverstand und eine gute Verbindung von Mannschaft und Trainer, auch auf zwischenmenschlicher Ebene. Am Ende lässt sich eine derartige Entwicklung ursächlich natürlich nur begrenzt in ihre Einzelteile zerlegen.“
Vor gut einem Jahr hast du Sebastian Hoeneß auf der Pressekonferenz vorgestellt. Sein „Gesamtpaket“ sei für den Verein „genau das richtige“, sagtest du damals. Was zeichnet ihn rückblickend auf die gemeinsame Zeit aus?
Fabian: „Wir hatten von Beginn an die Überzeugung, dass Sebastian der Richtige für den VfB Stuttgart und seine Ziele ist. Das wurde schon in den Vorgesprächen deutlich. Sich jetzt aber hinzustellen und zu sagen, wir wussten schon damals, wie gut diese Faust aufs Auge passen würde, wäre natürlich Blödsinn. Nach der Niederlage gegen den 1. FC Union, der Trennung von Bruno Labbadia und dem dramatischen Tabellenbild haben wir – das will ich gerne sagen – auch ein Stück von der Hoffnung gelebt. Schon damals aber hat es Sebastian ausgezeichnet, dass er selbst keinen Zweifel am Erfolg seiner Mission hat aufkommen lassen. Nach einem Training und dann direkt mit Überzeugung ins Pokalspiel gegen Nürnberg im Pokal – das war Sebastian damals und heute ist er es genauso.“
Wie kann man sich den alltäglichen Austausch zwischen der Mannschaft, dem Trainerteam, Christian Gentner als Leiter der Lizenzspielerabteilung und dir vorstellen?
Fabian: „Das Wenigste in unserer Zusammenarbeit folgt einem starren formalen Prozedere. Natürlich muss jeder um die Grenzen der eigenen Zuständigkeit, um Stärken und Kompetenzen wissen und diese im gemeinsamen Umgang auch respektieren. Das ist eine Grundvoraussetzung, die bei uns gegeben ist. Vieles hängt aber auch mit der Entwicklung unserer Gruppe zusammen. Alexander Wehrle, Sebastian Hoeneß, Christian Gentner, ich und viele andere haben damals, als der Verein in einer sportlich und wirtschaftlich sehr kritischen Situation darum kämpfen musste, den Kopf über Wasser zu halten, die Arbeit aufgenommen. Natürlich schafft der erfolgreiche Weg der letzten Monate dann eine besondere Vertrauensbasis.“
Auf den Rängen haben die Fans ein Lied gedichtet: „Nach all der Sch***, geht’s auf die Reise. Stuttgart international.“ Welche Rolle spielt der Realismus trotz des Erfolges?
Fabian: „Fans, deren einziges Leitmotiv Realismus heißt, wären ein trauriger Haufen. Unser Sport ist eine Traumfabrik und das ist auch gut so. Wenn wir versuchen, Realismus zu verkaufen, können wir einpacken. Unser Team hat, wie ich finde, schon jetzt ein sehr unrealistisches Ziel erreicht. Im Übrigen mit der Unterstützung unserer Fans. Ich werde diese besondere Unterstützung durch unsere Anhänger, diese besondere Stimmung im Rückspiel in Dortmund nicht vergessen. In den Büros brauchen wir natürlich kühle Köpfe und dürfen uns nicht vom Augenblick mitnehmen lassen. Wir dürfen durch unverhältnismäßige Risiko-Entscheidungen keine unrealistischen Erwartungen befeuern. Das haben wir aber auch nicht vor.“
In deinem ersten VfB-Sommer 2023 hattest du direkt große Fußstapfen zu füllen. Auf Abgänge wie Wataru Endo, Borna Sosa und Konstantinos Mavropanos folgten unter anderem Angelo Stiller, Deniz Undav und Maximilian Mittelstädt. Zudem wurde die Kaufoption für Serhou Guirassy gezogen. Welche war deine bislang größte Herausforderung?
Fabian: „Der VfB und sein Kerngeschäft sind größer als eine One-Man-Show es jemals sein kann. Es sind und waren also nicht ‚meine Herausforderungen‘. Die meisten Aufgaben sind komplex. Gerade in Kaderfragen spielen sportliche, wirtschaftliche und zwischenmenschliche Aspekte ineinander. Wir holen alle Kompetenzen zusammen und entscheiden gemeinsam. Es ist meine Aufgabe, alle ins Boot zu holen. Aber ich mache das nicht der Form halber. Austausch und Abwägung im Vorstand, auf Trainerebene und mit unseren Scouts stärken mittelfristig den Erfolg unserer Entscheidungen.“
Durch das Relegationsspiel gegen den HSV oder das DFB-Pokal-Achtelfinale gegen den SC Paderborn 07 wurdest du beim VfB in entscheidenden Partien direkt mit deinen alten Wirkungsstätten konfrontiert. Als Trainer und Scout hast du in der Jugend des Hamburger SV gearbeitet (2006 bis 2010), beim SC Paderborn 07 warst du Geschäftsführer Sport (2020 bis 2022). Haben solche Partien eine besondere Gewichtung für dich?
Fabian: „Je länger man dabei ist, desto öfter begegnet man ‚alten Bekannten‘. Und natürlich liegt eine besondere Stimmung über diesen Spielen. Es ist aber auch nicht so, dass ich bei solchen Anlässen größere Orientierungsschwierigkeiten hätte. Im Gegenteil: Ich weiß immer, wo ich hingehöre und es ist immer gut, sich für das Richtige entschieden zu haben. Sentimentalität war nie mein Problem.“
Wünschst du dir ein Auswärtsspiel in Kiel in der kommenden Saison? Als Geschäftsführer Sport hast du eine Vergangenheit bei den Störchen (2018 bis 2019).
Fabian: „Das wird eine weite Anreise. Aber klar, ich freue mich über den Erfolg der Kieler, die als Club über viele Jahre den klassischen Weg in den Profi-Fußball angetreten sind und jetzt vor einem riesigen Erfolg stehen.“
Wie geht die Mannschaft mit Rückschlägen um? Welche Beobachtungen machst du hier in dieser Saison?
Fabian: „Selbstbewusstsein entwickelt sich. Jetzt haben wir den Lauf, holen die Punkte und dann kann man auch mit Situationen wie Rückständen oder schwierigen Auswärtsspielen im Vergleich zur letzten Saison anders umgehen. Jeder Sieg stärkt das kollektive Erfolgsgedächtnis und hilft der gesamten Gruppe auch mit sich ändernden Rahmenbedingungen zurechtzukommen. Ich denke beispielsweise an einschneidende Ausfälle durch Verletzungen von Dan-Axel Zagadou oder von Serhou Guirassy im Herbst. In diesen Momenten war mir klar, dass die Mannschaft noch enger zusammenrücken wird. Das ist auch geschehen und konnte man beobachten.“
Zuletzt haben sich viele Säulen der Mannschaft längerfristig zum VfB bekannt. Unter anderem Chris Führich, Enzo Millot, Pascal Stenzel, Fabian Bredlow, Alexander Nübel und nicht zuletzt Sebastian Hoeneß haben ihre Verträge beim VfB verlängert. Wie wichtig wäre eine Vertragsverlängerung von Serhou Guirassy und Deniz Undav?
Fabian: „Wir freuen uns sehr, dass wir bereits frühzeitig mit vielen wichtigen Führungsspielern, Leistungsträgern und Persönlichkeiten Vereinbarungen getroffen haben, längerfristig zusammenzuarbeiten. Serhou ist ein sehr bodenständiger, familiärer und guter Mensch. Er fühlt sich bei uns auf und neben dem Platz sehr wohl. Zudem übernimmt er Verantwortung, zuletzt in Leverkusen hat er nach Spielende die Jungs zusammengeholt und im Mannschaftskreis seine Worte ans Team gerichtet. Das zeigt, dass ein großer Zusammenhalt da ist und alle wissen, worum es geht. Deniz wurde bei uns Nationalspieler. Er war menschlich und sportlich ein Zugewinn für unsere Mannschaft und macht uns vor dem gegnerischen Tor noch variabler. Gemeinsam mit Serhou bildet er aktuell eines der besten Sturmduos Europas. Natürlich möchte man mit solch besonderen Spielern auch weiterhin arbeiten.“
Wie hat sich die Arbeit im Allgemeinen auf dem Transfermarkt über die Jahre hinweg verändert?
Fabian: „Nichts hat wirklich Bestand. Der Mitteleinsatz steigt, der Markt wird transparenter und noch internationaler. Der Kern bleibt zusammen: Mit einem guten Auge, schnellen Prozessen und wirtschaftlicher Beinfreiheit ist man immer gut unterwegs.“
Am 1. Juli öffnet das Sommertransferfenster in Deutschland. Welche Aufgaben kommen auf das Scouting-Team und dich zu?
Fabian: „Der Beginn der Transferperiode markiert nur den Zeitpunkt, ab dem wir die Möglichkeit besitzen, den Wechsel von Spielern praktisch anzugehen und umzusetzen. Bedarfserhebung, Planung, Sondierung und sportliche Detailabstimmung sind als durchgängig laufender Prozess angelegt. Vieles wird jetzt aber konkreter und auch die Bereitschaft der Marktteilnehmer zum Handeln steigt.“
Jetzt steht fest, dass der VfB in der kommenden Spielzeit in der Champions League spielen wird.
Fabian: „Der Einzug ins internationale Geschäft fiel mit der Eröffnung nach dem Umbau der MHP Arena und einem überragenden Heimsieg gegen Frankfurt zusammen. Mit dem Punkt in Leverkusen sind wir der Qualifikation für die Champions League zudem einen Schritt näher gekommen. Wir sind nicht zum Gratulieren nach Leverkusen gefahren, das war uns ganz wichtig zu zeigen und ich glaube, das hat jeder gesehen. Wozu es am Ende reicht wissen wir in diesem Jahr zumindest nicht erst nach 36, sondern bereits nach 34 Spieltagen. (schmunzelt). Wir müssen uns auf uns konzentrieren, blicken nicht auf Andere und wollen das bestmögliche aus der Saison herausholen.“
Welche Auswirkungen hat die Teilnahme am internationalen Geschäft auf die Kaderplanung?
Fabian: „Tiefe und Breite müssen sich verändern, weil wir mehr Spielminuten haben werden. Entweder haben wir Spieler, die dazu in der Lage sind, mehr Spielminuten abzuleisten, oder man hat grundsätzlich quantitativ mehr Spieler im Kader. Wie wir das genau miteinander kombinieren, werden wir mit Blick auf den Sommer noch planen.“
Mal ganz abseits vom Beruflichen: Von wo würdest du ein VfB-Spiel mal gerne verfolgen?
Fabian: „Also die Kneipe ist jetzt kein Sehnsuchtsort, aber mal frei von Aufgaben und Verantwortung dort mit den Fans ein Spiel unserer Mannschaft anzuschauen, hätte schon was. Dazu ein kühles Bier. Die Fans und unsere Fankultur sind der Ast, auf dem wir sitzen. Jeder hilft – ob im Stadion oder in der Kneipe. Wir spielen nicht für uns. Wenn es niemanden interessieren würde, wäre die Kunst der Mannschaft brotlos. Bedeutung kommt eben erst durch unsere Fans – in guten, wie in schlechten Zeiten.“
Wie schaltest du nach einem packenden Bundesliga-Duell ab?
Fabian: „Ich komme relativ schnell runter. Das ist auch notwendig, um aus dem Überschwang heraus weder verbal noch sonst über das Ziel hinauszuschießen. Ich bin nach dem Abpfiff schnell bei meinen Routine-Abläufen bei Mannschaft und Presse. Das hat beruhigende Wirkung.“
Konnte dich die schwäbische Küche schon überzeugen?
Fabian: „Die Waage lügt leider nicht: Ich bin inzwischen auch kulinarisch in Baden Württemberg angekommen."
Interview aus der neuen Ausgabe der stadion aktuell. Jetzt lesen.