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Profis, 5. November 2024

„Europapokal-Abende sind wie ein kleines Länderspiel“

Hansi Müller gehört zu den Legenden des VfB – und zu den Kennern des italienischen Fußballs. Im Interview spricht er über Atalanta Bergamo, Nationalspieler und Angebote.

In Stuttgart geboren und aufgewachsen, Spielmacher und Ehrenmitglied des VfB, zudem Europameister und Vize-Weltmeister. Hansi Müller gehört zu den weiß-roten Legenden. Der mittlerweile 67-Jährige ist zudem ein großer Kenner des italienischen Fußballs, lief in der Serie A für Inter Mailand und Como Calcio auf. Vor dem UEFA Champions League-Heimspiel am Mittwochabend (6. November, 21 Uhr, live bei DAZN, im VfB Radio und im VfB Liveticker) spricht er über die bisherige Europapokal-Reise des VfB, die deutschen Nationalspieler – und verrät, dass er einst ein Angebot von Stuttgarts nächstem Gegner vorliegen hatte.

Hansi, von Stuttgart bist du 1982 nach Italien gewechselt und hast anschließend drei Jahre lang in der Serie A gespielt. Inwiefern verfolgst du den italienischen Fußball noch heute?

Hansi Müller: „Ich verfolge den italienischen Fußball tatsächlich noch intensiv. Besonders schaue ich auf meine beiden ehemaligen Vereine – mich freut, dass Inter Mailand in der vergangenen Saison die Meisterschaft gewann und Calcio Como in die erste Liga aufstieg. Auch habe ich noch Kontakt zu einigen Wegbegleitern und bin mitunter als Interviewgast für italienische Medien aktiv, wenn sie wiederum etwas über deutsche Mannschaften erfahren möchten. Der italienische Fußball ist mit seinen Traditionsvereinen interessant und attraktiv, darüber hinaus ist Italien in den internationalen Wettbewerben häufig gut vertreten.“

Womit wir eigentlich schon bei Atalanta Bergamo sind …

Hansi Müller: „Stimmt. Mit dem Gewinn der UEFA Europa League in der vergangenen Saison hat Atalanta Bergamo sehr auf sich aufmerksam gemacht. Ihre Leistung im Finale war beeindruckend: Sie haben 3:0 gegen Bayer Leverkusen gewonnen, das in dieser Partie kaum eine Chance hatte. Und wir alle wissen, welch starke Form die Leverkusener in der vergangenen Saison eigentlich hatten. Atalanta wird oftmals ein wenig unterschätzt. Der Verein mag womöglich nicht den ganz großen Namen wie Juventus Turin, Neapel, die Mailänder Vereine sowie Lazio und AS Rom haben. Genau darin liegt ein Vorteil für Atalanta.“

Was zeichnet diesen Verein noch aus?

Hansi Müller: „Die Kontinuität. Gian Piero Gasperini trainiert Bergamo seit acht Jahren. Das ist sicherlich rekordverdächtig in der italienischen Liga. Er hat einen enormen Erfahrungsschatz. Zudem versteht er es, Spieler weiterzuentwickeln – ähnlich, wie es auch Sebastian Hoeneß als Trainer beim VfB gelingt. Obwohl Gian Piero Gasperini nur ein Jahr jünger ist als ich, sind wir uns zu Spielerzeiten in Italien leider nicht begegnet, da er zumeist in der Serie B aktiv war. Anders ist’s mit Carlo Ancelotti: Als der VfB im September bei Real Madrid spielte, konnte ich mit ihm über ein paar vergangene Duelle sprechen.

Nach dem 1:0-Sieg bei Juventus Turin trifft der VfB mit Atalanta Bergamo erneut auf ein italienisches Team. Was erwartest du für eine Begegnung?

Hansi Müller: „Ich erwarte eine offene und spannende Partie. Dem VfB wird es entgegenkommen, dass Atalanta spielfreudiger agiert als beispielsweise Sparta Prag, die TSG Hoffenheim oder Holstein Kiel. Dadurch sollten sich mehr Räume und auch Umschaltsituationen bieten. Allerdings verfügt Bergamo über sehr viel Qualität und ist in herausragender Form, erst am Wochenende gelang dem Team ein 3:0-Erfolg bei Tabellenführer Neapel. Wenn die Begegnung am Mittwochabend mit einem Remis enden sollte, würde ich das als Teilerfolg werten.“

Mit vier Punkten aus drei Begegnungen liegt der VfB aktuell im Tabellen-Mittelfeld der UEFA Champions League. Traust du den Jungs aus Cannstatt das Erreichen der K.o.-Runde zu?

Hansi Müller: „Der VfB hat mit seinen internationalen Auftritten bisher eine tolle Eigenwerbung betrieben. Auch gegen Bergamo muss das Team nicht in Ehrfurcht erstarren, sondern kann mutig und selbstbewusst dagegenhalten. Insbesondere durch den 1:0-Erfolg bei Juventus Turin ist eine Ausgangslage entstanden, die ein Weiterkommen möglich macht. Wichtig ist, dass unsere Mannschaft dranbleibt und weiterhin punktet.“

Mit dem VfB Stuttgart, Inter Mailand und Innsbruck hast du viele Europapokal-Partien als Spieler erlebt. Was macht die europäischen Abende so besonders?

Hansi Müller: „Europapokal-Abende sind wie ein kleines Länderspiel. Beobachtung und Aufmerksamkeit sind einfach höher, wenn du international spielst. Zudem ist die Kulisse fantastisch. Ich erinnere mich gerne an die Partien im Europapokal. Eine außergewöhnliche Reise war die Saison 1986/1987: Mit Innsbruck hatten wir uns für den UEFA-Cup qualifiziert, kaum jemand nahm österreichische Teams anfangs so richtig wahr. Wir setzten uns im Achtelfinale gegen Spartak Moskau und im Viertelfinale gegen den FC Turin durch. Plötzlich standen wir im Halbfinale, das war eine Sensation. Übrigens hatte kurz zuvor auch Atalanta Bergamo eine Rolle gespielt …“

Inwiefern?

Hansi Müller: „Als 1985 mein Vertrag bei Como Calcio auslief, hatte ich verschiedene Optionen. Unter anderem lag mir ein Angebot von Atalanta Bergamo vor, auch Udinese sowie zwei Schweizer Vereine waren damals interessiert. Ich hatte mich jedoch entschieden, Italien zu verlassen und war mir bereits sicher, dass ich nach Österreich zu Innsbruck wechseln möchte. So kam es anschließend auch – und mit den zusätzlichen Europapokal-Auftritten war das eine tolle Zeit.“

Du hast insgesamt 42 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft absolviert. Mittlerweile werden wieder regelmäßig Profis des VfB für Deutschland nominiert. Wie bewertest du diese Entwicklung?

Hansi Müller: „Das ist sensationell. Sebastian Hoeneß und sein Trainerteam haben an dieser Entwicklung einen großen Anteil, denn sie haben viele Spieler schlichtweg besser gemacht. Als die einzelnen Jungs zum VfB kamen, waren sie von der Nationalmannschaft vergleichsweise weit weg. Ich beziehe diese Weiterentwicklung nicht nur auf die deutschen Nationalspieler des VfB. Auch Atakan Karazor wurde im Oktober erstmals für die Türkei berufen. Zudem verbindet Enzo Millot mittlerweile Spielfreude und Effizienz – daher bin ich überzeugt, dass er es perspektivisch in die französische A-Nationalmannschaft schaffen kann. Diese Entwicklung kommt dem gesamten Verein zugute: Ansehen und Image des VfB profitieren davon.“

Hansi Müller (* 27. Juli 1957 in Stuttgart) bestritt in seiner aktiven Karriere 224 Pflichtspiele für den VfB, in denen er 81 Tore erzielte. Beim VfB wurde er unter anderem 1975 Deutscher A-Jugendmeister und stieg mit dem Verein als Jungprofi in der Saison 1976/1977 aus der zweiten Liga in die Bundesliga auf und gewann 1979 die Vizemeisterschaft. Außerdem lief er in seiner insgesamt 15-jährigen Profikarriere noch für Inter Mailand, Calcio Como und Innsbruck auf. Für die deutsche Nationalmannschaft absolvierte er 42 Länderspiele (fünf Tore) und nahm an zwei Weltmeisterschaften (1978 und 1982) sowie der EM-Endrunde 1980 teil, die die DFB-Auswahl gewann. Heute ist Hansi Müller als Markenbotschafter des VfB tätig. Zudem hält der 67-Jährige Impulsvorträge vor Führungskräften, nimmt an Talkrunden teil und spielt leidenschaftlich Golf.