Viele Fußballprofis zucken bei diesem Wort zusammen: Karriereende. Plötzlich fehlt der Wettkampf. Die Emotionen, die Fans, die große Bühne, all das ist plötzlich weg. Die Kabine gehört jetzt anderen, feste Abläufe brechen weg. Nicht selten kommt es vor, dass sich der Übergang in die neue Lebensphase schwieriger gestaltet als der 29. Tempolauf in der 90. Minute. Bei Christian Gentner war das anders.
Der inzwischen 39-Jährige hatte sich schon gegen Ende seiner Spielerzeit immer wieder damit beschäftigt, wie es nach seiner Laufbahn als Profifußballer für ihn weitergehen soll. „Ein Karriereende ist nicht leicht zu akzeptieren“, hatte er mal im September 2022 gesagt und somit einen Einblick in seine Gedanken zugelassen. Da wusste er bereits, dass seine Zeit als Fußballprofi bald enden könnte. Am 9. November 2022 schnürte er ein letztes Mal seine Fußballschuhe. Als Kapitän führte er den FC Luzern – bei dem Schweizer Erstligisten hatte er zum Abschluss seiner Karriere noch eineinhalb Jahre gespielt – gegen den FC Basel auf den Rasen.
Viel Lob von Mitspielern
Verantwortung übernehmen, vorangehen, sich insbesondere auch mit Themen befassen, die weit über die 90 Minuten hinausgehen, das zeichnete Christian Gentner schon immer aus. Und das wussten seine Mitspieler zu schätzen. Serey Dié, der in der Saison 2015/2016 zusammen mit „Gente“ in der Bundesliga spielte und für den der VfB seine neunte Station war, beschrieb es einmal so: „Ich habe in meiner Karriere viele Fußballer kennengelernt – aber keinen wie Christian Gentner. Er ist ein wahrer Kapitän. Er hilft mir, wo es nur geht.“ Was anderen Spielern die Integration erleichterte, war für Christian Gentner stets eine Selbstverständlichkeit. Schon immer gehörten einige Facetten mehr zu seinem Fußballleben. Aber nun kam diese neue Zeit auf ihn zu.
Christian Gentner:
„Der Schritt weg vom VfB ist mir nicht ganz leicht gefallen, war aber rückblickend absolut die richtige Entscheidung.“
Und wieder sollte der VfB für den gebürtigen Nürtinger eine wesentliche Rolle spielen. Auf Initiative von Alexander Wehrle, dem Vorstandsvorsitzenden, befasste sich der VfB mehr und mehr mit dem Gedanken, den gebürtigen Schwaben bei den Profis einzubinden. Nicht mehr als Spieler, sondern in neuer Funktion. Die Idee reifte, das Profil schärfte sich. Schließlich verkündete der VfB, dass Christian Gentner ab dem 1. Januar 2023 zurückkehren werde – als Leiter der Lizenzspielerabteilung. Zurück zum VfB, zu „seinem“ Club, für den er insgesamt 373 Pflichtpartien (50 Tore, 45 Vorlagen) absolviert hatte. Nachdem er das Fußball-ABC in seinem Heimatort, beim TSV Beuren, gelernt hatte, kam er zum VfL Kirchheim und schließlich 1999, im Alter von 14 Jahren, zum VfB. Mit dem er 2003 den A-Junioren-Titel, 2007 die Deutsche Meisterschaft und 2017 den Wiederaufstieg in die Bundesliga feierte. Und den er zwischendurch verließ, um von 2007 bis 2010 für den VfL Wolfsburg aufzulaufen.
„Der Schritt weg vom VfB ist mir nicht ganz leicht gefallen, war aber rückblickend absolut die richtige Entscheidung“, erzählte Christian Gentner einst im VfB-Magazin „stadion aktuell“: „In Wolfsburg habe ich gelernt, mich in einem neuen Umfeld durchzusetzen und zu behaupten.“ Er zog aus als Talent, wurde mit dem VfL Wolfsburg ebenfalls Deutscher Meister (im Jahr 2009) und kehrte heim als Leistungsträger. Eigentlich liegt es doch so nahe, dass er mit seiner Persönlichkeit und seinem Erfahrungsschatz auch nach der Spielerkarriere beim Club aus Cannstatt eine Rolle spielen muss. Womit die Vision von Alexander Wehrle gut ins Bild passt.
Kurz nach Karriereende als Profi plötzlich „auf der anderen Seite“
Wenige Tage nach seinem offiziellen Arbeitsbeginn als Leiter der Lizenzspielerabteilung reiste er im Januar 2023 mit dem VfB ins Trainingslager nach Marbella in Spanien. Natürlich kannte Christian Gentner unzählige Vorbereitungen – als Profi. Trainieren, regenerieren, trainieren, Testspiel, Heimflug. Nun war er plötzlich „auf der anderen Seite“. Das erste Mal ein Trainingslager mitorganisieren. Überlegen, welche Reize bei einem Team gesetzt werden müssen. Welche Bausteine dem Kader vielleicht noch fehlen. Wie das Zusammenspiel zwischen Mannschaft, Staff und Club noch besser gestaltet werden kann. Demütig bezeichnete er sich in einem Interview am Rande des Trainingslagers als „Quereinsteiger auf dieser Ebene“ – und lobte Fabian Wohlgemuth. Der heutige Sportvorstand des VfB fungierte zu jener Zeit als Sportdirektor. „Der Austausch war von Beginn an sehr intensiv, er band mich bei allen Themen ein, das war für mich unheimlich wertvoll, um zu lernen und einen strategischen Blick auf die Situation zu bekommen“, erinnert sich Christian Gentner.
Schritt für Schritt arbeitete sich der einstige Mittelfeldspieler in seine neue Schreibtisch-Position hinein. Ehrgeizig und fokussiert, aber auch bescheiden und loyal. Sowie mit einem klaren Plan. Bereits im Vorfeld hatte er gespürt, dass ihn die Strukturen und Aufgaben im sportlichen Bereich interessieren. Über den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und die Deutsche Fußball Liga (DFL) erhielt er von 2020 bis 2022 die Chance, am Zertifikatsprogramm „Management im Profifußball“ teilzunehmen. Er organisierte sich so, dass er den Lehrgang parallel zu seiner Tätigkeit als Fußballprofi hinbekam. In Modulen wie „Kaderplanung“, „Budgetplanung“ und „Leadership“ erhielt er zusammen mit 13 anderen Ex-Profis bzw. Sportmanagement-Talenten jede Menge theoretischen Input. Zu den Inhalten gehörten unter anderem Elemente aus Betriebswirtschaftslehre, Psychologie und Marketing. Am Ende musste Christian Gentner eine Prüfung ablegen – und bestand. Ein weiterer Schritt für die Karriere nach der Karriere war gemacht.
Den Praxisteil erlebte er nun seit Januar 2023 beim VfB Stuttgart. Er lernte, dass selbst die durchdachteste Theorie im hektischen, ergebnisabhängigen „Fußballgeschäft“ schnell durchkreuzt wird. Immer wieder ist es eine Kunst, die langfristige Strategie zu verfolgen und gleichzeitig auf die Herausforderungen des Tagesgeschäfts flexibel reagieren zu können. Am besten, das weiß ein Teamplayer wie Christian Gentner zu gut, funktioniert das im Verbund. Der VfB schaffte in der Relegation 2023 den Bundesliga-Klassenerhalt, gab anschließend Leistungsträger ab, baute eine neue Mannschaft auf, wurde Vizemeister 2024 und spielt derzeit in der UEFA Champions League. Sicher ist nur: Die nächsten Monate werden nicht weniger anspruchsvoll.
Den Teamerfolg auch zukünftig immer im Blick
Doch für Christian Gentner bieten sie viele Chancen, sein Wissen einzubringen und kontinuierlich hinzuzulernen sowie noch einen Tick mehr Verantwortung zu übernehmen. Immer mit dem Blick für den Teamerfolg. Das war als Junge in der Jugend des VfB so, das war als Kapitän so – und das wird auch als neuer Sportdirektor des VfB Stuttgart so bleiben.