Seither gibt er an der Konsole alles, um seinen Lieblingsverein bei den Wettkämpfen würdig zu vertreten. Doch so engagiert er dabei auch ist, die reinen Resultate sind nicht alles, was für Niklas Luginsland zählt. „Wenn ich durch mein Beispiel anderen Menschen Mut machen kann für ihre Träume zu kämpfen, dann habe ich schon viel erreicht“, sagt der Altensteiger, der an der sogenannten Glasknochenkrankheit leidet. Sein Lebensweg dient als Vorbild – für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung.
Es ist schon fast 15 Jahre her und dennoch hat Niklas Luginsland die Szenen vor Augen, als hätten sie sich erst gestern zugetragen. Und so beschreibt der 22-Jährige detailgenau verschiedene Momente des Champions-League-Achtelfinalspiels zwischen dem VfB und dem FC Chelsea. Immer wieder blickt er dabei auf einen Schal, der extra für das Spiel im Februar 2004 angefertigt wurde und der inzwischen über seinem Bett hängt. Ein Schal, mit dem er so viele Emotionen verbindet und dem er deshalb einen Ehrenplatz zwischen den verschiedenen Selfies mit Mario Gomez, Christian Gentner, Cacau, Timo Hildebrand oder Giovane Elber gewidmet hat. Für kurze Zeit fühlt er sich bei seinen Erzählungen zurückversetzt an jenen Abend, als er in jungen Jahren erstmals einen der schillernden Europapokal-Abende seines Herzensvereins live im Stadion erlebte. Er genießt den Augenblick und leidet auch noch einmal kurz mit, als er über das entscheidende Eigentor von Fernando Meira zum 0:1 spricht. Wer Niklas Luginsland in diesem Moment erlebt und sieht wie euphorisch er von seinen Stadionbesuchen in Bad Cannstatt und den Begegnungen mit VfB Größen erzählt, der erkennt, wie groß seine Leidenschaft für den Verein mit dem Brustring ist.
„Ich habe noch Entwicklungspotenzial"
Nur zwei, drei Schritte davon entfernt befindet sich auf der anderen Seite des Zimmers seine zweite große Leidenschaft: die PS4. Das Spielgerät, auf dem er das Fußballspiel FIFA zockt. Im Grunde jeden Tag bringt sich Niklas Luginsland mit seinem Rollstuhl, in dem er wegen seiner Krankheit sein Leben lang sitzt, vor dem Bildschirm in Position und legt los. Ein bis zwei Stunden feilt er dann in den Trainingseinheiten an seinen Fähigkeiten, am Wochenende folgen die Duelle in der sogenannten Weekend League – zumindest im Optimalfall sieht sein Alltag so aus. Zuletzt war das jedoch anders. Denn da schrieb Niklas Luginsland, der an der Hochschule in Kehl Public Management studiert, zunächst seine Bachelorarbeit. Seitdem er sie abgegeben hat, bereitet er sich nun auf die letzten Prüfungen vor. Zwar nimmt er die Konsole und alles was dazu gehört stets mit, wenn er in der Regel von Montag bis Mittwoch in Kehl wohnt, angesichts der zeitlichen Anforderungen in der Endphase seines Studiums hatte er zuletzt jedoch weniger Zeit fürs Training als gewünscht. „Wenn ich im Februar mit meinem Bachelorstudium fertig bin, habe ich bis zum Beginn meines Masterstudiums ein halbes Jahr Zeit, mich voll und ganz auf den VfB zu konzentrieren“, sagt er, „diese Zeit werde ich dann nutzen, um sehr viel zu trainieren. Zudem möchte ich mich dann einmal die Woche mit Erhan treffen, um mit ihm zu trainieren. Seine große Erfahrung hilft mir sicher weiter.“ Die Einheiten mit Pro-Gamer Erhan Kayman alias „Dr. Erhano“, bei denen der Teamkollege und Teamkoordinator der VfB eSportler neben Niklas Luginsland sitzt, ihn beim Zocken beobachtet und ihm dann Tipps für die verschiedenen Situationen gibt, sollen die eSport-Karriere von „nik-lugi“, wie Niklas Luginsland in der eSports-Welt heißt, kräftig voranbringen. Denn „nik-lugi“ hat noch einiges vor. „Ich habe noch Entwicklungspotenzial, weil ich noch nicht so lange dabei bin. Ich traue es mir zu, dass ich noch einen deutlichen Sprung mache, wenn ich regelmäßig und viel trainiere“, sagt er, „es ist aber schwierig einzuschätzen, wie weit es bei mir noch gehen kann.“
Es ist eine Aussage, die gleich in mehrerlei Hinsicht so herrlich den Charakter von Niklas Luginsland, einem gefestigten, geerdeten und engagierten jungen Mann, zeigt: Er weiß sich und seine Leistung richtig einzuordnen und weiß, wie weit der Weg bis zu den absoluten Top-Gamern ist. Doch das mindert seine Einsatzfreunde keineswegs. Im Gegenteil. Wie quasi schon immer in seinem Leben packt er es einfach an und versucht, das Beste daraus zu machen. Denn das Leben hat Niklas Luginsland vor eine besondere Herausforderung gestellt, der 22-Jährige hadert deswegen jedoch nicht mit seinem Schicksal. Seit seiner Geburt leidet er an Osteogenesis imperfecta, im Volksmund Glasknochenkrankheit genannt. Gerade in den ersten Jahren seines Lebens erlitt er deshalb immer wieder Knochenbrüche. Erst im Laufe der Zeit wurde das durch regelmäßige Physiotherapie besser. Doch seine Beeinträchtigung hielt den sportbegeisterten Jungen nicht ab, sich auch am Sport zu beteiligen. Gegen Ende der Teenagerzeit betreute er über drei Jahre lang beim TSV Altensteig eine D-Jugend-Handballmannschaft. „Ich war schon immer sehr sportbegeistert, vor allem die Ballsportarten haben es mir angetan. Daher habe ich auch öfters die Handballspiele des TSV Altensteig besucht“, blickt er zurück, „weil mein Kumpel, ein aktiver Handballer, damals bereits Jugendtrainer war, kam ich auf die Idee ihn zu unterstützen. Wir haben uns dann die Arbeit gut aufgeteilt. Er war fürs Handballerische zuständig, ich habe mich um die Bereiche körperliche Stabilität, Koordination, Fitness und Motivation gekümmert.“ Niklas Luginsland war dabei so fleißig, dass er von der Württembergischen Sportjugend für sein herausragendes Engagement geehrt wurde und den Preis vom damaligen VfB Sportvorstand Fredi Bobic überreicht bekam.
Mit sieben Jahren das erste Mal vor der Konsole
Die Begeisterung für den Sport war es auch, die ihn zum eSports brachte. 2003, Niklas Luginsland war damals sieben Jahre alt, jagte er bei einem Kumpel erstmals via Konsole den Fußball Richtung Tor. Das machte ihm so viel Spaß, dass er fortan immer öfters zur Konsole griff. „Für mich war es ja nie denkbar, dass ich selbst mal Fußball oder Handball spielen kann“, verdeutlicht er, „aber es hat mir sehr gefallen, dass ich auf diese Weise mit wenig Kraftaufwand, mit meinen Möglichkeiten Spieler auf dem Feld bewegen und Tore erzielen kann.“ Auch wenn ihn das auch heute noch teilweise vor eine Herausforderung stellt, die andere nicht meistern müssen. Vom Greifen her ist es für ihn zwar kein Problem den Controller zu halten, weil diese aber in der Regel für größere Hände angelegt sind, als es seine sind, kann er nicht so einfach und schnell umgreifen wie seine Kontrahenten. So ist bei seinem aktuellen Controller beispielsweise der Abstand zwischen dem Torwart-Stick zu den anderen Knöpfen, die er für die Feldspieler braucht, so groß, dass es für ihn nicht ganz einfach ist umzugreifen und er dadurch auf dem virtuellen Rasen an Reaktionsschnelligkeit einbüßt.
Niklas Luginsland will anderen Mut machen
Seinen Aufstieg bremste das jedoch nicht aus. So gewann Niklas Luginsland als Teenager bereits lokale Turniere und qualifizierte sich durch seine Siege für immer bessere Turniere. Zugleich bekam er dadurch immer mehr Kontakt zu professionelleren Trainingspartnern und rutschte so immer weiter in die eSports-Szene rein. Seit August gehört er nun zum eSports-Team des VfB. Seitdem das im Sommer bekannt gegeben wurde, erhielt Niklas Luginsland unheimlich viel Zuspruch. So hat „nik-lugi“ beispielsweise auf seinem Instagram-Profil seither knapp 3000 Follower dazubekommen. Zudem haben sich in den Social Media-Kanälen wie auch in persönlichen Gesprächen mit ihm zahlreiche Personen positiv über seine Verpflichtung geäußert und ihm zu seinem Vertrag beim VfB gratuliert. Es gibt vereinzelt zwar auch diejenigen, die Niklas Luginsland rein auf die Resultate reduzieren und den VfB für die Verpflichtung kritisieren, wenn er beispielsweise nur 20 von 30 Spielen der Weekend League gewinnt während andere jedes Wochenende einige Partien mehr gewinnen. Der 22-Jährige lässt sich davon jedoch nicht aus der Bahn werfen – und beweist wie immer den Blick fürs Gesamte. „Wenn ich durch mein Beispiel anderen Menschen Mut machen kann, für ihre Träume zu kämpfen, dann habe ich schon viel erreicht“, sagt er, „mein Beispiel zeigt: Es gibt immer auch andere Möglichkeiten, um seinen Weg zu finden.“